Gunther Stilling

Kindheit und Jugend in Bissingen. 1964 – 69 Studium an der Kunstakademie Stuttgart bei Hannes Neuner, Christof Schellenberger und Rudolf Hoflehner. 1973 – 78 Assistent bei Carl-Heinz Kliemann an der Universität Karlsruhe. Seit 1979 Professor an der Fachhochschule Kaiserslautern. Lebt und arbeitet in Güglingen und Pietrasanta (Italien).

 

St. Laurentius, 1977, Bronze, bei der Laurentiuskirche

Unmittelbar vor der katholischen Kirche, die dem Heiligen Laurentius geweiht ist, thematisiert Gunther Stilling das Martyrium des im Jahre 258 hingerichteten Diakons. Sein qualvolles Ende auf dem glühenden Eisenrost ist eine im Verlauf der Kunstgeschichte häufig dargestellte Szene. Gunther Stilling verzichtet in seiner Arbeit allerdings bewusst auf Hinweise auf die in der Legende erwähnten Begleitumstände des Martyriums, die das Geschehen in historische Ferne rücken würden. Auch die in der ikonografischen Tradition üblichen Zeichen göttlichen Trostes oder der Erlösung fehlen.

Der Bildhauer konfrontiert so den Betrachter ganz direkt mit einem geschundenen Menschen, der sich unter unvorstellbaren Qualen auf dem Rost krümmt und dessen Außenhaut bereits aufzubrechen und sich aufzulösen scheint. Die Gliedmaßen des Gequälten sind stark vergrößert wiedergegeben. Die Darstellung des Körpers insgesamt erinnert in ihrer Expressivität an mittelalterliche Pestkreuze. Gunther Stillings Darstellung wird so zu einem zeitlosen und gleichzeitig bedrückend aktuellen Aufschrei gegen Folter und Gewalt. Die Skulptur erweist sich damit als eine typische Arbeit aus dem Frühwerk Gunther Stillings. Vor allem in den siebziger Jahren verstand er sich deutlich als politischer Künstler und hat in seinem Schaffen immer wieder Gewalt und Machtmissbrauch angeprangert. In seinen Büsten von Kirchenfürsten, Feldherren oder Generälen, deren Gesichter zu hasszerfressenen Masken verzerrt sind, macht er die Welt der Täter zum Thema. In Darstellungen wie dem überlebensgroßen „St. Laurentius" ergreift er eindrucksvoll Partei für die Opfer.

Der Bürger schützt seine Stadt, 1982, Bronze, Metteranlagen

An exponierter Stelle vor der Bietigheimer Altstadt hat eine zweite Plastik von Gunther Stilling ihren Platz. Die Arbeit ist aus einem Wettbewerb für ein Skulpturenprojekt hervorgegangen, mit dem die Umgestaltung der Metteranlagen ihren Abschluss finden sollte. In seiner Skulptur „Der Bürger schützt seine Stadt" reagiert Gunther Stilling deutlich auf die Gegebenheiten des Standorts vor der Schauseite der Bietigheimer Altstadt. Diese erscheint mit ihren Fachwerkbauten, dem bekrönenden Rathaus und nicht zuletzt mit den Resten der Befestigungsanlagen geradezu als Paradebeispiel einer historischen Stadtanlage. Gunther Stillings Entscheidung, an dieser Stelle eine letztlich allegorische Darstellung wehrhaften Bürgertums zu verwirklichen, macht Sinn. Er wählt hierfür, wie in den meisten seiner Arbeiten, eine männliche Aktfigur, die in diesem Fall mit großen sprechenden Gesten agiert. Stilistisch steht die Skulptur zwischen Gunther Stillings Frühwerk der siebziger Jahre, das in Bietigheim-Bissingen mit dem monumentalen „St. Laurentius" exemplarisch präsent ist, und seinem Schaffen der neunziger Jahre. Die Füße und auch die Hände, in deren Gesten die Aussage der Skulptur gelegt ist, sind wie beim „St. Laurentius" überdimensioniert. Die Oberfläche der Bronze ist noch rau und ungeschönt, während sie in den neueren Arbeiten Gunther Stillings völlig beruhigt wirkt.

Janustor, 2000, Marmor, auf der alten Enzbrücke

Gunther Stilling schuf während des Skulpturensymposiums 2000 der Stadt Bietigheim-Bissingen ein symbolisches Tor mit dem doppelgesichtigen Janus. In der römischen Mythologie ist Janus der Gott des Anfangs und des Endes, des Eingangs und des Ausgangs, der Zukunft und der Vergangenheit. Seinem Schutz unterstellte man sich bei Kriegsbeginn. Janusköpfe zierten traditionell Türen und Tordurchgänge, aber auch Brücken. Gunther Stilling hat für diese Arbeit bewusst den Standort auf der alten Enzbrücke gewählt – eine Stelle, die einen Durchgang markiert und gleichzeitig die Ortsteile miteinander verbindet.