Turm der grauen Pferde, 1993, Aluminium, Hillerplatz
Wie das untere Ende der Hauptstraße durch das „Kuh-riosum" wird auch die obere Altstadt durch ein Werk von Jürgen Goertz geprägt. Eine vielteilige Platzgestaltung erfüllt dabei zwei wichtige stadtplanerische Aufgaben. Sie bildet den Fluchtpunkt und Abschluss der oberen Hauptstraße, die seit dem Abriss des Obertorturmes im Jahre 1824 gefehlt haben, und sie verbindet die eher heterogenen Bauten um den Platz zu einem geschlossenen Ensemble. Dominierendes Element der Platzanlage ist der rund 11 Meter hohe Pferdeturm. Mit der mattschimmernden Oberfläche des geschliffenen Aluminiums stellt er eine markante Eingangspforte zur oberen Altstadt dar. Die Platzgestaltung von Jürgen Goertz weist die für den Künstler charakteristischen Merkmale auf, wie sie bereits vom „Kuhriosum" oder von anderen Arbeiten des Künstlers für den öffentlichen Raum vertraut sind. Auch hier findet sich ein breites Spektrum unterschiedlich behandelter Oberflächen. Das Aluminium wurde großflächig geschliffen, zum Teil aber auch poliert, vergoldet oder mit schwarzer Farbe behandelt. Auch hier sind realistische Partien mit abgegossenen Fundstücken und abstrakt-geometrischen Elementen kombiniert, die in diesem Fall aus der Architektur kommen. Eine Vielzahl plastischer Details stellt die unterschiedlichsten inhaltlichen Bezüge her. Die vier im Turm übereinander gestellten und in der Größe jeweils halbierten Pferde spielen auf das große Volksfest der Stadt und damit den traditionellen Höhepunkt des Jahreslaufs an: auf dem Bietigheimer Pferdemarkt. Die übereinandergesetzten Rundbogenarkaden sind als Hommage an Karl von Etzels grandioses Eisenbahnviadukt über die Enz aus dem Jahr 1853 zu sehen. Der Künstler selbst betont daneben auch die Bezüge zu zwei Hauptwerken der modernen Malerei – zu Franz Marcs verschollenem „Turm der blauen Pferde" von 1913 und zu Paul Klees „Aufstand des Viadukts" von 1937. Die großen Reliefmedaillons an den Flanken der Pferde zeigen weibliche Porträts und stehen für die alten Erdteile. Von unten nach oben entdeckt der Betrachter eine Afrikanerin, eine Europäerin, eine Hopi-Indianerin und schließlich eine Asiatin. Die kleinen Reliefmedaillons auf der Brustpartie der Pferde, für die der Künstler zum Teil fossile Knochen abgegossen hat, spielen auf die Frühgeschichte der Menschheit an.